Innert weniger Jahre golfte sich Jon «Rahmbo» Rahm aus dem baskischen Hinterland an die Spitze der Weltrangliste. Doch der 27-Jährige ist weit reflektierter und bescheidener, als sein Spitzname vermuten lässt.

Sie nennen ihn «Rahmbo». Wegen seines auffällig kurzen, aber kraftvollen Schwungs. Weil er nach einem verpatzten Putt schon mal die Beherrschung über sich und seinen Schläger verliert. Weil er mit stattlichen 1,88 Metern und 100 Kilo auf dem Platz antritt. Vor allem aber, weil er die jahrelang dominierenden US-Amerikaner das Fürchten lehrt, seit er 2016 nach insgesamt 60 Wochen an der Spitze der Amateure ins Profilager platzte, um innert fünf Jahren zum sechsfachen PGA-Tour- sowie sechsfachen European-Tour-Gewinner, Major-Champion und regelmässigen Weltranglistenersten zu avancieren.

Jon Rahm Rodriguez, wie er mit vollem Namen heisst, ist der Golfkönig von Spanien – und ein kleines bisschen auch unserer, zumal er seinen Nachnamen einem im 19. Jahrhundert nach Bilbao ausgewanderten Schweizer verdankt. Doch wer ist dieser Mann wirklich? Und jetzt mal ehrlich: Muss das sein, den derzeit erfolgreichsten Golfspieler Europas nach einem herumballernden Vietnam- Veteranen aus Hollywood zu benennen?

Von vorne: Am 10. November 1994 kam Jon Rahm im baskischen Dörfchen Barrika zur Welt. Eine spätere Laufbahn als Profisportler erschien zunächst undenkbar, denn der Junge wurde mit einem Klumpfuss am rechten Bein geboren. Obwohl ihm nach gängiger medizinischer Praxis zahlreiche Fussknöchel gebrochen und neu gerichtet wurden, blieb Rahms Beweglichkeit eingeschränkt. Trotzdem stürzte er sich in den Sport. Als Fan des lokalen Vereins Athletic Bilbao brannte er für den Fussball, spielte Tennis, engagierte sich im baskischen Rückschlagspiel Pelota und lernte Kampfsport. Doch nirgendwo konnte er seinen Ehrgeiz so gut ausleben wie in der Einzelsportart Golf, die er mit zehn Jahren spasseshalber begann und bereits mit dreizehn als seine Zukunft identifizierte.

«Ich will der beste Spieler der Welt werden», sagte er sich, und arbeitete in der Folge auf dieses Ziel hin – durch hartes Training und, wie er Jahre später im Rahmen der British Open 2021 verraten sollte, indem er mit seinem physischen Handicap umzugehen lernte. «Ich mache keinen vollen Schwung, weil mein rechter Knöchel einfach nicht die Mobilität und Stabilität dafür hat», lüftete er das Geheimnis um seine eigenartige Ausholbewegung. «Also lernte ich schon sehr früh, wie ich mit einem kurzen Schwung effizienter Kraft erzeugen kann.» Sein Rat an alle aspirierenden Golfer lautet deshalb, niemals den Schwung anderer zu kopieren. «Der Körper sagt einem, was man kann und was nicht.»

An Können fehlt es Rahm wegen seines kurzen Rückenschwungs ebenso wenig wie an Power, wie die aktuelle Statistik der PGA Tour zeigt: Die Kategorie «Total Driving », bei der Länge und Präzision kombiniert werden, führt der 27-Jährige an. Und schon damals, als 17-Jähriger, der in Madrid zur Schule ging und nur gelegentlich an einem Golfturnier teilnahm, war sein spielerisches Talent so augenfällig, dass ihm der US-Coach Tim Mickelson sein letztes verfügbares Vollstipendium für das Arizona State University Golf Team anbot – eine Mannschaft, aus der schon PGA-Grössen wie Paul Casey oder Tims Bruder Phil hervorgingen. Massgeblich beeinflusst haben soll seine Entscheidung aber auch ein Ereignis, das sich 2012 bei der European Boys Championship zutrug: Rahm lag hoffnungsvoll auf dem zweiten Rang, als er am Vorabend des nächsten Spieltages einen Schläger zu viel in seiner Tasche entdeckte und sich daraufhin selbst disqualifizierte. Die Integrität des jungen Spaniers beeindruckte Mickelson so sehr, dass er Rahm – ohne ihn jemals persönlich getroffen zu haben – für sein Team verpflichtete.

Schon bald sollte der Coach an seiner Entscheidung zweifeln. Nicht nur, dass Rahm kein Englisch sprach und die Kommunikation mit Händen und Füssen erfolgen musste – seine Leistungen auf dem Platz liessen zu wünschen übrig. Nach der ersten Runde des dritten Mannschaftsturniers war Mickelson überzeugt: «Der Junge schafft es nicht.» Er reüssiere nicht in der Schule, er spiele nicht gut und müsse wohl ersetzt werden. Rahm blieb gelassen, lieferte ab, beendete das Turnier als Zweiter seines Klassements und begann wenige Turniere später mit einer beispiellosen Erfolgsserie, während der er elf Titel errang und dank seiner Vorliebe für amerikanischen Rap auch nahezu perfekt Englisch lernte. Sein Studium der Kommunikationswissenschaften schloss er erfolgreich ab und lernte nebenbei die Liebe seines Lebens kennen – die College-Leichtathletin Kelley Cahill.

Am 29. Januar 2017 dann der Paukenschlag: Knapp ein halbes Jahr nach dem Wechsel in die Profiliga stach Jon Rahm die Konkurrenz beim Farmers Insurance Open mit einem sensationellen Eagle-Putt über 20 Meter aus, errang seinen ersten Titel auf der PGA Tour und machte der Welt deutlich, dass nach dem unvergessenen Seve Ballesteros künftig noch ein weiterer Spanier Anspruch auf die Preisgelder erheben würde. Nur etwas respektive jemand schien sich dem Basken bei seinem Aufstieg an die Weltspitze immer mal wieder in den Weg zu stellen: er selbst. Geradezu legendär waren seine Wutausbrüche, die sich auf dem Platz explosionsartig in Form von hingeknallten Schlägern entluden und ihn den einen oder anderen Sympathiepunkt beim Publikum kosteten. «Ich weiss, dass Golfer ihre Emotionen für sich behalten sollten», gestand er bei einem Interview 2017, rechtfertigte seine Ausbrüche aber, indem er sich mit einer Cola-Flasche verglich. «Wenn man diese schüttelt, passiert zunächst nichts, aber sobald der Deckel geöffnet wird, quillt alles über.» Manchmal müsse er eben diesen Deckel öffnen, damit ihn seine unterdrückte Wut nicht am Spiel hindere. Ein Jahr später gab sich Rahm schon etwas selbstkritischer: «Ich fühle mich oft schrecklich wegen meines Verhaltens und muss lernen, mich besser in den Griff zu bekommen. Viele Leute, darunter auch mein früherer Coach, können bestätigen, dass ich mich in den letzten Jahren gebessert habe.» Er werde weiter an sich arbeiten.

Glück in der Liebe, Glück im Spiel: Nur wenige Wochen, nachdem seine Frau Kelley Sohn Kepa zur Welt gebracht hatte, errang Rahm beim US Open 2021 seinen ersten, lang ersehnten Major- Titel.

Rahms Temperament flammte dann und wann noch auf, hinderte ihn aber nicht daran, im Juli 2000 beim bedeutsamen Memorial Tournament trotz Unwetter- Unterbrechung eines zunächst für einen Birdie gehaltenen Bogeys und zweier Strafschläge cool genug zu bleiben, um sich den Titel zu sichern und damit den Nordiren Rory McIlroy als Nummer eins der Profigolfer abzulösen. «Ich kann das alles noch gar nicht in Worte fassen», sagte darauf ein überwältigter Rahm, der sich nicht nur über einen Scheck von 1,67 Millionen Dollar und seine erstmalige Spitzenposition in der Weltrangliste freuen durfte, sondern zugleich den coronabedingten Verlust zweier enger Verwandten zu betrauern hatte. «Golf ist nur das, was ich mache, aber nicht das, was ich bin», relativierte er seinen Triumph, und wenn er sich entscheiden müsste zwischen seiner Familie und Golf, würde er immer Ersteres wählen. Entsprechend werde er jetzt heimgehen und seinen Sieg mit seiner Frau, einem Milchshake und dem Kinderfilm «Drachenzähmen leicht gemacht» feiern.

Obwohl «Rahmbo» damit gezähmt schien, verlor er dadurch nicht seinen Biss und kämpfte weiter für sein Ziel, das er 2017 selbstbewusst hatte verlauten lassen: «Wenn Jack Nicklaus 18 Majors gewonnen hat, will ich 19 gewinnen.» Es sollte aber noch bis Juni 2021 dauern, ehe ihm beim US Open im kalifornischen La Jolla der Triumph seines ersten Major-Titels vergönnt war und er die zwischenzeitlich verlorene Spitzenposition wiedererlangte – und das alles am Vatertag, nachdem seine Frau Kelley zehn Tage zuvor ihr erstes gemeinsames Kind, Sohn Kepa, zur Welt gebracht hatte.

Dennoch waren es turbulente Zeiten für den frischgebackenen Major-Sieger und Vater. Zwei Wochen davor hatte er nach einem positiven Corona-Test das Memorial Tournament mit sechs Schlägen Vorsprung frühzeitig abbrechen müssen – was ihn nicht nur die sicher geglaubte Titelverteidigung kostete, sondern mutmasslich auch den sicher geglaubten PGA-Tour-Titel zum Spieler des Jahres. Eine zweite positive Corona-Diagnose im Juli verwehrte es Rahm, für seine Heimat Spanien bei den Olympischen Spielen in Tokio anzutreten. Im September sagte er eine Pro-Am-Teilnahme wegen Magenschmerzen ab. Im Oktober folgte der klar verpasste Cut beim Andalucia Masters in seiner Heimat, woraufhin er eine vierwöchige Auszeit ankündigte, um sich mental zu erholen. «Zum ersten Mal in meinem Leben will ich keinen Golfschläger sehen», so Rahm.

Also stopp, Pause, Reset und Fast Forward ins Jahr 2022, in dem sich Rahm, der übrigens im Sommer zum zweiten Mal Vater wird, bereits wieder auf die Jagd nach den übrigen 18 Major-Titeln macht, die er der Welt versprochen hat. Immer wieder kehrt der Spanier aber auch nach Europa zurück, wo er nach wie vor aktiv ist und 2021 insbesondere dank seiner herausragenden Form beim Ryder Cup als Europas führender Punktesammler herausstach. Nachdem der Titel der PGA Tour an ihm vorbeiging, ehrten ihn vor ein paar Wochen immerhin seine Profikollegen der DP World Tour mit dem «Seve Ballesteros Award» und kürten ihn zum Spieler des Jahres. «Alles zu gewinnen, was den Namen Seve trägt, ist eine grosse Ehre für mich, ebenso wie die Tatsache, dass die Spieler der DP World Tour darüber abstimmen», gab sich Jon Rahm wie so häufig in den vergangenen Jahren weit demütiger und bodenständiger, als sein Spitzname nahelegt. Ein wahrer «Rahmbo» hätte die Ehrung mit der steinernen Mimik seines filmischen Vorbilds entgegengenommen.

Text: Nina Treml   FOTOS: Getty Images

Innert weniger Jahre golfte sich Jon «Rahmbo» Rahm aus dem baskischen Hinterland an die Spitze der Weltrangliste. Doch der 27-Jährige ist weit reflektierter und bescheidener, als sein Spitzname vermuten lässt.

Sie nennen ihn «Rahmbo». Wegen seines auffällig kurzen, aber kraftvollen Schwungs. Weil er nach einem verpatzten Putt schon mal die Beherrschung über sich und seinen Schläger verliert. Weil er mit stattlichen 1,88 Metern und 100 Kilo auf dem Platz antritt. Vor allem aber, weil er die jahrelang dominierenden US-Amerikaner das Fürchten lehrt, seit er 2016 nach insgesamt 60 Wochen an der Spitze der Amateure ins Profilager platzte, um innert fünf Jahren zum sechsfachen PGA-Tour- sowie sechsfachen European-Tour-Gewinner, Major-Champion und regelmässigen Weltranglistenersten zu avancieren.

Jon Rahm Rodriguez, wie er mit vollem Namen heisst, ist der Golfkönig von Spanien – und ein kleines bisschen auch unserer, zumal er seinen Nachnamen einem im 19. Jahrhundert nach Bilbao ausgewanderten Schweizer verdankt. Doch wer ist dieser Mann wirklich? Und jetzt mal ehrlich: Muss das sein, den derzeit erfolgreichsten Golfspieler Europas nach einem herumballernden Vietnam- Veteranen aus Hollywood zu benennen?

Von vorne: Am 10. November 1994 kam Jon Rahm im baskischen Dörfchen Barrika zur Welt. Eine spätere Laufbahn als Profisportler erschien zunächst undenkbar, denn der Junge wurde mit einem Klumpfuss am rechten Bein geboren. Obwohl ihm nach gängiger medizinischer Praxis zahlreiche Fussknöchel gebrochen und neu gerichtet wurden, blieb Rahms Beweglichkeit eingeschränkt. Trotzdem stürzte er sich in den Sport. Als Fan des lokalen Vereins Athletic Bilbao brannte er für den Fussball, spielte Tennis, engagierte sich im baskischen Rückschlagspiel Pelota und lernte Kampfsport. Doch nirgendwo konnte er seinen Ehrgeiz so gut ausleben wie in der Einzelsportart Golf, die er mit zehn Jahren spasseshalber begann und bereits mit dreizehn als seine Zukunft identifizierte.

«Ich will der beste Spieler der Welt werden», sagte er sich, und arbeitete in der Folge auf dieses Ziel hin – durch hartes Training und, wie er Jahre später im Rahmen der British Open 2021 verraten sollte, indem er mit seinem physischen Handicap umzugehen lernte. «Ich mache keinen vollen Schwung, weil mein rechter Knöchel einfach nicht die Mobilität und Stabilität dafür hat», lüftete er das Geheimnis um seine eigenartige Ausholbewegung. «Also lernte ich schon sehr früh, wie ich mit einem kurzen Schwung effizienter Kraft erzeugen kann.» Sein Rat an alle aspirierenden Golfer lautet deshalb, niemals den Schwung anderer zu kopieren. «Der Körper sagt einem, was man kann und was nicht.»

An Können fehlt es Rahm wegen seines kurzen Rückenschwungs ebenso wenig wie an Power, wie die aktuelle Statistik der PGA Tour zeigt: Die Kategorie «Total Driving », bei der Länge und Präzision kombiniert werden, führt der 27-Jährige an. Und schon damals, als 17-Jähriger, der in Madrid zur Schule ging und nur gelegentlich an einem Golfturnier teilnahm, war sein spielerisches Talent so augenfällig, dass ihm der US-Coach Tim Mickelson sein letztes verfügbares Vollstipendium für das Arizona State University Golf Team anbot – eine Mannschaft, aus der schon PGA-Grössen wie Paul Casey oder Tims Bruder Phil hervorgingen. Massgeblich beeinflusst haben soll seine Entscheidung aber auch ein Ereignis, das sich 2012 bei der European Boys Championship zutrug: Rahm lag hoffnungsvoll auf dem zweiten Rang, als er am Vorabend des nächsten Spieltages einen Schläger zu viel in seiner Tasche entdeckte und sich daraufhin selbst disqualifizierte. Die Integrität des jungen Spaniers beeindruckte Mickelson so sehr, dass er Rahm – ohne ihn jemals persönlich getroffen zu haben – für sein Team verpflichtete.

Schon bald sollte der Coach an seiner Entscheidung zweifeln. Nicht nur, dass Rahm kein Englisch sprach und die Kommunikation mit Händen und Füssen erfolgen musste – seine Leistungen auf dem Platz liessen zu wünschen übrig. Nach der ersten Runde des dritten Mannschaftsturniers war Mickelson überzeugt: «Der Junge schafft es nicht.» Er reüssiere nicht in der Schule, er spiele nicht gut und müsse wohl ersetzt werden. Rahm blieb gelassen, lieferte ab, beendete das Turnier als Zweiter seines Klassements und begann wenige Turniere später mit einer beispiellosen Erfolgsserie, während der er elf Titel errang und dank seiner Vorliebe für amerikanischen Rap auch nahezu perfekt Englisch lernte. Sein Studium der Kommunikationswissenschaften schloss er erfolgreich ab und lernte nebenbei die Liebe seines Lebens kennen – die College-Leichtathletin Kelley Cahill.

Am 29. Januar 2017 dann der Paukenschlag: Knapp ein halbes Jahr nach dem Wechsel in die Profiliga stach Jon Rahm die Konkurrenz beim Farmers Insurance Open mit einem sensationellen Eagle-Putt über 20 Meter aus, errang seinen ersten Titel auf der PGA Tour und machte der Welt deutlich, dass nach dem unvergessenen Seve Ballesteros künftig noch ein weiterer Spanier Anspruch auf die Preisgelder erheben würde. Nur etwas respektive jemand schien sich dem Basken bei seinem Aufstieg an die Weltspitze immer mal wieder in den Weg zu stellen: er selbst. Geradezu legendär waren seine Wutausbrüche, die sich auf dem Platz explosionsartig in Form von hingeknallten Schlägern entluden und ihn den einen oder anderen Sympathiepunkt beim Publikum kosteten. «Ich weiss, dass Golfer ihre Emotionen für sich behalten sollten», gestand er bei einem Interview 2017, rechtfertigte seine Ausbrüche aber, indem er sich mit einer Cola-Flasche verglich. «Wenn man diese schüttelt, passiert zunächst nichts, aber sobald der Deckel geöffnet wird, quillt alles über.» Manchmal müsse er eben diesen Deckel öffnen, damit ihn seine unterdrückte Wut nicht am Spiel hindere. Ein Jahr später gab sich Rahm schon etwas selbstkritischer: «Ich fühle mich oft schrecklich wegen meines Verhaltens und muss lernen, mich besser in den Griff zu bekommen. Viele Leute, darunter auch mein früherer Coach, können bestätigen, dass ich mich in den letzten Jahren gebessert habe.» Er werde weiter an sich arbeiten.

Glück in der Liebe, Glück im Spiel: Nur wenige Wochen, nachdem seine Frau Kelley Sohn Kepa zur Welt gebracht hatte, errang Rahm beim US Open 2021 seinen ersten, lang ersehnten Major- Titel.

Rahms Temperament flammte dann und wann noch auf, hinderte ihn aber nicht daran, im Juli 2000 beim bedeutsamen Memorial Tournament trotz Unwetter- Unterbrechung eines zunächst für einen Birdie gehaltenen Bogeys und zweier Strafschläge cool genug zu bleiben, um sich den Titel zu sichern und damit den Nordiren Rory McIlroy als Nummer eins der Profigolfer abzulösen. «Ich kann das alles noch gar nicht in Worte fassen», sagte darauf ein überwältigter Rahm, der sich nicht nur über einen Scheck von 1,67 Millionen Dollar und seine erstmalige Spitzenposition in der Weltrangliste freuen durfte, sondern zugleich den coronabedingten Verlust zweier enger Verwandten zu betrauern hatte. «Golf ist nur das, was ich mache, aber nicht das, was ich bin», relativierte er seinen Triumph, und wenn er sich entscheiden müsste zwischen seiner Familie und Golf, würde er immer Ersteres wählen. Entsprechend werde er jetzt heimgehen und seinen Sieg mit seiner Frau, einem Milchshake und dem Kinderfilm «Drachenzähmen leicht gemacht» feiern.

Obwohl «Rahmbo» damit gezähmt schien, verlor er dadurch nicht seinen Biss und kämpfte weiter für sein Ziel, das er 2017 selbstbewusst hatte verlauten lassen: «Wenn Jack Nicklaus 18 Majors gewonnen hat, will ich 19 gewinnen.» Es sollte aber noch bis Juni 2021 dauern, ehe ihm beim US Open im kalifornischen La Jolla der Triumph seines ersten Major-Titels vergönnt war und er die zwischenzeitlich verlorene Spitzenposition wiedererlangte – und das alles am Vatertag, nachdem seine Frau Kelley zehn Tage zuvor ihr erstes gemeinsames Kind, Sohn Kepa, zur Welt gebracht hatte.

Dennoch waren es turbulente Zeiten für den frischgebackenen Major-Sieger und Vater. Zwei Wochen davor hatte er nach einem positiven Corona-Test das Memorial Tournament mit sechs Schlägen Vorsprung frühzeitig abbrechen müssen – was ihn nicht nur die sicher geglaubte Titelverteidigung kostete, sondern mutmasslich auch den sicher geglaubten PGA-Tour-Titel zum Spieler des Jahres. Eine zweite positive Corona-Diagnose im Juli verwehrte es Rahm, für seine Heimat Spanien bei den Olympischen Spielen in Tokio anzutreten. Im September sagte er eine Pro-Am-Teilnahme wegen Magenschmerzen ab. Im Oktober folgte der klar verpasste Cut beim Andalucia Masters in seiner Heimat, woraufhin er eine vierwöchige Auszeit ankündigte, um sich mental zu erholen. «Zum ersten Mal in meinem Leben will ich keinen Golfschläger sehen», so Rahm.

Also stopp, Pause, Reset und Fast Forward ins Jahr 2022, in dem sich Rahm, der übrigens im Sommer zum zweiten Mal Vater wird, bereits wieder auf die Jagd nach den übrigen 18 Major-Titeln macht, die er der Welt versprochen hat. Immer wieder kehrt der Spanier aber auch nach Europa zurück, wo er nach wie vor aktiv ist und 2021 insbesondere dank seiner herausragenden Form beim Ryder Cup als Europas führender Punktesammler herausstach. Nachdem der Titel der PGA Tour an ihm vorbeiging, ehrten ihn vor ein paar Wochen immerhin seine Profikollegen der DP World Tour mit dem «Seve Ballesteros Award» und kürten ihn zum Spieler des Jahres. «Alles zu gewinnen, was den Namen Seve trägt, ist eine grosse Ehre für mich, ebenso wie die Tatsache, dass die Spieler der DP World Tour darüber abstimmen», gab sich Jon Rahm wie so häufig in den vergangenen Jahren weit demütiger und bodenständiger, als sein Spitzname nahelegt. Ein wahrer «Rahmbo» hätte die Ehrung mit der steinernen Mimik seines filmischen Vorbilds entgegengenommen.

Text: Nina Treml   FOTOS: Getty Images