Der Trophäenjäger

Mit Brian Harman gewann das diesjährige British Open ein vermeintlicher Nobody. Dabei hatte der 36-jährige Golfprofi und Hobbyjäger schon jahrelang auf der Lauer gelegen.

TEXT: NINA TREML | FOTOS: GETTY / INSTAGRAM

Für die Boulevardpresse war Brian Harmans Hobby natürlich ein gefundenes Fressen. Der weitgehend unbekannte Golfprofi, der die 151. Open Championship schon nach dem zweiten Tag anführte, macht schliesslich keinen Hehl aus seiner Leidenschaft fürs Jagen. Freimütig spricht er darüber, wie er Wildtieren in seinem Revier nahe seinem Wohnort auf Sea Island im US-Südstaat Georgia mit Pfeil und Bogen nachstellt und die Beute fachmännisch zerlegt, damit seine Frau daraus Fleischgerichte für die fünfköpfige Familie zaubern kann.

Sein Instagram-Profil ist übersät mit Bildern toter Truthähne, Elche und Wapitis. Gegenüber Sky Sports gestand er sogar einmal, nach dem verpassten Cut beim Masters in Augusta auf seiner Farm zuerst ein Schwein und anderntags auch noch einen Truthahn geschlachtet zu haben – aus purem Frust. Noch bevor am Sonntag, 23. Juli 2023, im Royal Liverpool Golf Club im Dorf Hoy- lake der Sieger feststand, war «Brian the Butcher» daher schon in aller Munde. Den Grundtenor der Leserkommentare und User-Reaktionen kann man sich denken.

Nicht eben zimperlich ging das Publikum auch vor Ort mit dem Amerikaner um. Während er am Samstag unter widrigsten Bedingungen bei Wind und strömendem Regen seine dritte Runde absolvierte, hatte das Publikum nur Jubel, Applaus und Anfeuerungsrufe für seinen Flight-Partner, Lokalmatador Tommy Fleetwood, übrig. Nachdem sich Harman zwei Bogeys leistete, rief ihm einer aus der Menge sogar eine Beleidigung zu: «Harman, du hast nicht die Nerven dazu!» Aber genau das habe ihm geholfen, meinte er im Nachhinein. Er habe sich gesagt, dass er sehr wohl die Nerven zum Siegen habe. Dass sich auch andere Spieler bei dem schlechten Wetter schlechte Schläge leisten würden. «Ich wusste, dass meine Reaktion auf die Beleidigung bestimmen würde, ob ich es schaffe oder nicht», hielt er fest.

Und so war es tatsächlich der «Butcher», der das älteste der vier Majors letztlich mit 13 unter Par für sich entschied und die Claret Jug als begehrteste aller Golf-Trophäen entgegennahm. Er hatte sie sich verdient. War am Sonntag mit fünf Schlägen Vorsprung auf den ersten Abschlag gegangen. Hatte sich von zwei Bogeys zu Beginn der Runde nicht aus der Ruhe bringen lassen, auf der Front Nine auf einen Even Par zurückgekämpft und nach einem Schlagverlust auf Bahn 13 zwei Birdies in Folge hingelegt, um seinen Vorsprung auf insgesamt sechs Schläge zu erweitern – ein glatter Durchmarsch für den 36-Jährigen. Mit drei Millionen Dollar erhielt er die bisher höchste Preissumme in der Geschichte des prestigeträchtigen Turniers. Der Australier Cameron Smith hatte im Vorjahr einen Check über «nur» zweieinhalb Millionen Dollar erhalten.

Der eine oder andere unter den gut 260 000 Besuchern mag sich einen anderen «Champion Golfer of the Year» gewünscht haben. Den Nordiren Rory McIlroy zum Beispiel, dessen bislang einziger Open-Titel neun Jahre zurückliegt und der letztlich Sechster wurde. Oder Publikumsliebling Fleetwood, der sich mit Rang zehn zufriedengeben musste. Aufsehenerregend wäre auch ein Sieg einer der zwei Spieler gewesen, die sich neben den früheren Weltranglistenersten Jon Rahm und Jason Day den zweiten Gesamtplatz teilten: Sepp Straka wäre Österreichs erster Open Champion geworden. Und der südkoreanische Jungstar Tom Kim war mit Krücken angetreten, nachdem er sich bei einem Ausrutscher in seiner Unterkunft vor Ort die Bänder am rechten Knöchel gedehnt hatte, und zeigte trotz dieser Beeinträchtigung grossartiges Golf.

Andererseits wirkte Brian Harman nicht unsympathisch, als er die Trophäe entgegennahm – den auf seine Glatze herunterprasselnden Regen an sich abperlen lassend wie zuvor schon die bösartigen Kommentare aus Presse und Publikum. «An alle Fans, für all die netten Worte und an alle Menschen zu Hause, die mich so sehr angefeuert haben: Ich weiss das zu schätzen», bedankte sich der nur 1,70 Meter grosse Leftie, der ausser Golf sonst alles rechts macht. Er bedauere, dass seine Frau und drei Kinder an diesem besonderen Tag nicht bei ihm seien: «Ich vermisse sie sehr und kann es kaum erwarten, morgen wieder bei ihnen zu sein!» Natürlich werde er «ein paar Pints» aus dem legendären Silberkännchen trinken, ehe er wieder nach Hause reise – ganz so, wie es dem Brauch entspricht. Und schliesslich liebt die Welt Aussenseiter, welche die Elite das Fürchten lehren. Auf Brian Harman, der gerade einmal zwei kleine Turniere auf dem USCircuit gewonnen und bei vier von insgesamt sechs Open-Starts den Cut verpasst hatte, schien diese Rolle perfekt zugeschnitten zu sein.

Nur, ganz so überraschend kam sein Sieg dann doch nicht. Der 1987 in Savannah, Georgia, geborene Sohn eines Zahnarztes und einer Chemikerin, die beide nie Golf spielten, war schon US Junior Amateur Champion, Amateur-Weltranglistenerster und jüngster Teilnehmer am Walker Cup. In den vergangenen Jahren landete er auf der PGA Tour 29-mal in den Top Ten – so oft wie sonst keiner ohne Sieg. Beim US Open 2017 wurde er geteilter Zweiter; bei der 150. Open Championship im vergangenen Jahr schaffte er es immerhin auf Rang sechs. Brian Harman war vielleicht nur einer von vielen auf der PGA Tour. Aber einer von vielen, die auf höchstem Niveau spielen. Zum Open im Royal Liverpool kam er mit einer Preisgeldbilanz von 30 Millionen Dollar. Erstaunlicher als sein Sieg ist, wie lange es gedauert hat, ehe er sich mit einem Open-Triumph unsterblich machen konnte.

Harmans Nachbar auf Sea Island und US-Ryder-Cup- Captain Zach Johnson verglich seinen Freund mit seinem eigenen Spiel: «Wir sind beide mutig und verlassen uns auf unsere Stärken», sagte er: «Uns ist egal, wie weit unser Ball vom Abschlag fliegt, wir haben andere Qualitäten.» Wie die Statistik zeigt, betrifft diese vor allem das Putting. 11,57 Schläge machte der Amerikaner auf den Grüns auf den Durchschnitt des Feldes gut. Er lochte 58 von 59 Putts unter 10 Fuss (3,05 Meter), schaffte es ohne Dreiputts durch das Turnier und benötigte insgesamt nur 106 Versuche auf den Grüns – ein Bestwert in den vergangenen zwei Jahrzehnten. «Ich habe immer daran geglaubt, dass ich etwas Besonderes schaffen kann», so Harman auf der Pressekonferenz. «Ich habe keine Ahnung, warum es ausgerechnet in dieser Woche passiert ist, aber ich bin sehr dankbar dafür.» Gewiss war das Open ein eher unwahrscheinliches Major, geträumt hatte er nämlich von einem Sieg im Augusta National Golf Club. «Wenn man in Georgia aufgewachsen ist, geht es nur um das Masters », erklärte er. «Doch als ich hierher kam, dachte ich: Wow, Mann, die Fans sind unglaublich. Hier versteht jeder etwas von Golf. Es war einfach ein Vergnügen, hier zu spielen.»

Man hätte es bei diesen Worten belassen können. Hätte nicht noch einmal auf die «Butcher»-Sache eingehen müssen. Ein Journalist konnte es jedoch nicht lassen, die Treffsicherheit von Harmans Spiel mit der Jagdkunst in Verbindung zu bringen – und Harman stieg darauf fröhlich ein. Er meinte sogar, dass er die Tiere bewusst aus weiter Entfernung abschiesse, um es sich nicht zu leicht zu machen. Aber umso grösser war dann die Erleichterung, als die Antwort auf die Frage, wie er seinen Sieg feiern werde, keine toten Tiere beinhaltete. Er werde auf seinen neuen, orangefarbigen Traktor steigen und den Rasen seines Grundstücks mähen. «Darauf freue ich mich ganz besonders», sagte er. Und alle lachten.

Kraftvoll: Jon Rahm in der dritten Runde am 13. Loch beim US Masters.

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