Gegen den Strom
Der Tradition mehr verpflichtet als dem Zeitgeist: Bei seinem neuesten Supersportwagen setzt Ferrari auf die pure Kraft eines V12-Motors und nennt ihn ohne Umschweife 12Cilindri.
Gerade als die Welt dachte, an der Elektromobilität führe kein Weg mehr vorbei, singt Ferrari eine Lobeshymne auf den Verbrennungsmotor in seiner klassischsten Form. Der Zwölfzylinder trieb schon das allererste Strassenmodell an, das 1947 die heiligen Hallen von Maranello verliess. Er ist untrennbar mit der Motorsportgeschichte der Marke verbunden. Bietet, wie Dirigentenlegende und Sportwagenliebhaber Herbert von Karajan einst sagte, einen unnachahmlichen Sound. Und darf nun – ohne Turboaufladung oder zusätzliche Elektrifizierung, dafür mit stolzen 6,5 Litern Hubraum – auch das jüngste Modell von Ferrari antreiben, ja ihm sogar seinen Namen spenden: 12Cilindri, ausgesprochen «Doditschi Tschilindri».
In einer Zeit, in der die Modelle eines gewissen kalifornischen E-Auto-Bauers mit vierstelligen PS-Zahlen und 0-auf-100-Sprintwerten knapp über zwei Sekunden aufwarten, mögen 830 PS und 2,9 Sekunden keine Weltsensation sein. Mehr als um nackte Zahlen geht es hier aber um die Art und Weise, wie die Leistung inszeniert wird. Wie das Triebwerk mit Begeisterung bis 9500 Touren hochjubelt, sich das Doppelkupplungsgetriebe durch seine acht Gänge hämmert und die Kraft furios, aber sauber über die Hinterräder auf die Strasse gelangt. Es geht um die Emotionen, die der zweisitzige Front- Mittelmotor-Wagen auf jedem Meter auslöst – ob man ihn nun auf einer Rennstrecke bewegt oder mit dem Golfbag im 270-Liter-Kofferraum eine komfortable Wochenendtour geniesst.
Das ungewohnt lineare Design löst, was man im Internet so an Reaktionen liest, hingegen nicht nur positive Emotionen aus. Aber Kenner wissen, dass die Inspiration dafür aus der Historie stammt. Pate stand nicht nur der mit einer ähnlichen schwarzen Frontmaske versehene 365 GTB/4 «Daytona», sondern auch die radikal- futuristische Siebzigerjahre-Studie Ferrari 512 S Modulo der Designschmiede Pininfarina. Und wenn man in dem nahezu symmetrisch gestalteten Cockpit vor dem Cavallino-Rampante-Logo am Lenkrad sitzt, umgeben von zartem Leder, Alcantara und Carbon, kann es einem herzlich egal sein, was die Neider da draussen in ihre Tastaturen tippen.
Bis auch Ferrari einknickt und sein erstes Elektroauto vorstellt, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Genau gesagt soll es Ende 2025 so weit sein. Trotzdem versteht sich der neue Supersportler nicht als Abschiedsgeschenk an V12-Fans. Weder ist das als Berlinetta und Spyder erhältliche Modell limitiert, noch rechnen die Italiener damit, in den nächsten paar Jahren mit der Konstruktion von Zwölfzylindern aufhören zu müssen. Allein der Preis ab 401 800 Franken sorgt dafür, dass der 12Cilindri eine seltene Erscheinung bleibt.