Crazy Golf

Statt sich in Pubs und Clubs volllaufen zu lassen, versenken die Londoner diesen Sommer lieber Bälle. Minigolfanlagen haben sich zu den angesagtesten Party-Locations der Stadt entwickelt.

Die meisten Menschen stellen sich unter einer freitagabendlichen Partie Golf unter Freunden ein gepflegtes 18-Loch-Spiel zu gepflegten Unterhaltungen in einer perfekt gepflegten Anlage vor. Wenn’s hoch kommt, finden sie sich im Anschluss mit einer Zigarre in der einen und einem Glas Cognac in der anderen Hand im Clubhaus wieder. Nicht so allerdings die Londoner.

Nach zwei Sommern gefangen in einer tristen Lockdown- Dystopie, verspüren die britischen Hauptstädter mehr denn je den Drang zum Ausbrechen. Statt den Geruch eines frisch gemähten Rasens einatmen zu wollen, buchen sie Abschlagzeiten in Minigolfanlagen, die bis unters Dach mit Alkoholika gefüllt sind und mit ihren stampfenden Beats, wummernden Bässen und wunderbar bizarren Einrichtungen eher an die Nachtclubs von Ibizas San Antonio denn an St. Andrews erinnern.

Begründet wurde der Trend zu «Crazy Golf», wie es in England heisst, vor nahezu einer Dekade im Jahr 2014 in einer heruntergekommenen Halle in Londons Shoreditch. Matt Grech-Smith und Jeremy Simmods testeten hier anhand eines temporären Pop-ups namens «Swingers» ein neues Konzept, das Minigolf mit Cocktails und Streetfood verband. Dass die Tickets für Tee- Times sofort ausverkauft waren überzeugte Matt und Jeremy davon, Swingers ein neues Zuhause zu geben – ein dauerhaftes und vor allem schickeres.

Die Begeisterung riss auch dann nicht ab, als sich Swingers im West End und im Stadtzentrum niederliess. «London’s new Friday night», nannte das Männermagazin GQ den Trend zu «Crazy Golf» und sprach von «One of the 60 best things in the world». Wenngleich Letzteres eine etwas übertriebene Ehrerbietung für einen Ort zum Trinken und Putten sein dürfte, gehört Swingers zweifelsohne zu Londons High-End-Anbietern von Minigolfanlagen und ist an den Wochenenden entsprechend ausgebucht.

An einem typischen Abend trifft man dort Jungs, die Craft Beer trinken, Prosecco-Girls in High Heels, ältere Semester beim Business-Talk zu Martinis und Hipster- Foodies, die an einer Bar speisen, wie sie sonst nur in weit exklusiveren Gourmettempeln zu finden sind. Dabei kostet eine Runde Golf bei Swingers nur gerade 13,50 Pfund. Die einzelnen Löcher sind skurril, aber stilvoll und herausfordernd gestaltet – mit grünem Rasen, üppigem Laub, behandeltem Buchenholz und einer warmen Ambientebeleuchtung. Kellner in farblich abgestimmten Seidenhemden bringen einem die Getränke direkt ans Loch.

Nach dem Erfolg auf heimischem Boden wagte Swingers den Sprung über den grossen Teich, um im Juni 2021 eine zusätzliche Filiale in Washington DC und im Juni 2022 eine weitere in Manhattan zu eröffnen. Bis 2024 sollen weitere US-Standorte folgen. Doch nicht nur Swingers profitiert vom Crazy-Golf-Trend: Ein Jahr nach dem Swingers-Debüt eröffnete 2015 der Junkyard Golf Club seine Pforten und erwies sich dabei nicht als billige Kopie. Im Gegenteil: Meiner Meinung nach übertrifft er die Pioniere durch die Perfektionierung des Konzepts mit der aufregendsten Minigolfanlage und den besten Vibes überhaupt.

Mein erster Abstecher in den Junkyard Golf Club wurde zu einer der verrücktesten Partynächte, an die ich mich – fast – erinnern kann. Es war die Eröffnungsfeier der Filiale in East London, die wie Swingers zunächst als Pop-up gedacht war. Irgendwann in den Morgenstunden sah ich mich mit einem Gehgestell tanzen, das ich von einem ausgestopften, als Wrestler verkleideten Bären an einem Loch geklaut hatte, nachdem ich an einem Clown in einem Whirlpool vorbei gespielt und so einige Shots Kirschwein sowie Nachos intus hatte, während ein DJ Old-School-Hip-Hop zum Besten gab.

Ich war natürlich nicht die Einzige, die sich in dieser Nacht gehen liess, doch hatte ich sichtlich so viel Spass, dass ein Foto von mir am nächsten Tag in der Zeitung erschien. Etwas unangenehm für mich, aber gut für die Betreiber des Pop-ups: Der Beitrag erregte die Aufmerksamkeit von unzähligen Neugierigen, die diesen so kuriosen wie fabelhaften Schrottplatz-Themenkurs Woche für Woche selbst erleben wollten. In weniger als einem Jahr erlangte der Junkyard Golf Club ausreichend Ruhm und Traktion, um den Kurs neu zu gestalten und drei zusätzliche Golfplätze hinzuzufügen. Und nicht nur das gemeine Partyvolk war angetan: Bald wurde die Anlage auch für Geburtstage, Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede und sonstige Feiern gebucht.

Trotz der Pandemie, während der Club zwei Jahre geschlossen blieb, geht es ihm heute so gut wie nie – mit zusätzlichen Standorten in Manchester, Oxford, Leeds und Liverpool sowie einer aufgemotzten Location in London mit vier neuen Themenkursen. Dass der grosse Erfolg und das folglich grössere Investitionsbudget für eine aufpolierte Optik sorgte und das Personal nun etwas genauer auf die Einhaltung der Regeln achtet, tut dem Erlebnis keinen Abbruch: Die Atmosphäre im Junkyard Golf Club ist so hedonistisch wie eh und je. Als ich ihm kürzlich wieder einen Besuch abstattete, sah ich Tinder-Dates an der Bar knutschen, Tik-Tok-Influencer auf der Jagd nach dem perfekten Selfie-Spot an einem Loch über ein Karussell krabbeln und ein Trio kichernder Girls sich mit gerollten 10-Pfund-Scheinen in dieselbe Toilettenkabine drängen.

Doch zurück zum eigentlichen Thema, dem Golfspielen, das auch sehr viel Spass macht. Nicht obwohl, sondern gerade weil die Löcher herausfordernd sind, geht es weniger ums Punktesammeln als darum, sich bei seinen oft kläglichen Putting-Versuchen köstlich zu amüsieren. Es gibt einen Kurs namens «Dirk» mit neun Löchern in einem von den 90ern inspirierten Raum mit UVLicht, Pelzwänden, Smiley-Gesichtern, Stripperstangen und besprayten Pissoirs. Auf dem gruseligen Clown- Themenkurs «Bozo» stellt man sich seinen Ängsten, während man sich durch einen eingesperrten Löwen und ein Spiegelkabinett golft. Auf dem Kurs «Gary» bestehen die Hindernisse aus Autowracks mit blinkenden Scheinwerfern. Zu guter Letzt begibt man sich auf dem Dschungel-Themenkurs «Pablo» in ein Reich des tropischen Schreckens mit den Schädeln angeblich gescheiterter Spieler, Piratenschiffen und glitzernden Tempeln.

Was der Spass kostet? 13 Pfund für eine Runde zu Spitzenzeiten in Gruppen von bis zu acht Personen. Zu Randzeiten sinkt der Preis auf 11 Pfund; Studenten erhalten 50 Prozent Ermässigung. Optional, aber im Prinzip ein Muss sind die psychedelischen Cocktails, um das Golf-Abenteuer abzurunden. Sie sind mit allem garniert, was die Fantasie hergibt: von knallfarbigen Süssigkeiten über Lakritze und Herzen bis hin zu gefälschten Dollarscheinen. Ein Drink wird sogar in einem Gefäss serviert, das wie eine Retro-Popcornbox geformt ist.

Wer den Crazy-Golf-Hype lieber nüchtern und konzentriert, im Kreis der Familie oder als Firmenevent erfahren möchte, findet unter Newcomern wie Puttshack den idealen Anbieter. Die Anlage wirkt zunächst wie eine noble Pizzeria, die sich aber als Spielwiese für Erwachsene und Kids entpuppt. Die Löcher sind kunterbunt gestaltet und fordern teilweise zum Rätselraten heraus. Wer den Ball im Loch mit der richtigen Antwort versenkt, gewinnt Gratisgetränke oder eine Runde beim Glücksrad. Weil sämtliche Löcher mit elektronischen Sensoren versehen sind, kann nicht geschummelt werden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass der Kurs relativ leicht zu bewältigen ist und man die Runde mit dem Gefühl absolviert, ein echter Golf-Pro zu sein. Das Personal könnte nicht freundlicher sein und die Preise sind günstig. Nicht ganz überzeugen kann Puttshack allerdings in Sachen Atmosphäre.

Doch die Minigolf-Mania endet nicht hier. Mittlerweile finden sich Anlagen bis in die hintersten Winkel der Stadt und sogar über ihren Dächern. Empfehlenswert ist der Birdies Crazy Golf Club, um an einem Sommerabend die Aussicht von der höchsten Etage eines Parkhauses in Stratford zu geniessen. Hinzu kommt eine neue Filiale in der gigantischen Battersea Power Station, einem ehemaligen Kohlekraftwerk am Südufer der Themse. Ebenfalls einen Besuch wert: Das Putt-Putt, das nach eigenen Angaben «die grösste Indoor-Anlage von London » ist und nebst 12 Löchern Minigolf einen Karaoke- Raum, Tischtennisplatten und die volle Dröhnung Italo- Disco bietet.

Der interessanteste neue Herausforderer der etablierten Clubs dürfte aber Plonk Golf sein. Seine Betreiber ziehen alle Register in puncto visueller Gestaltung, erstklassigem Food sowie Drinks und führen ihre Firma mit spürbarer Leidenschaft. Sie sind ausserdem die Einzigen ihrer Zunft, die den britischen Festivalmarkt erobert haben.

Plonk hat einen Neonkurs auf dem Stables Market in Camden, eine Flipperbar in ihrer Filiale in London Fields sowie einen beeindruckenden neuen Standort am Borough Market, wo man sich seinen Weg durch die berühmtesten Wahrzeichen der Stadt bahnt, umgeben von einer 360-Grad-Gallerie mit Graffitis von Londons berühmtesten Street-Art-Künstlern. Nicht zuletzt bietet Plonk auf seinem Hackney-Kurs ein Sonntags-Special, bei dem man für 30 Pfund eine Runde Golf, Jetons für die Retro-Spielhalle, einen Hotdog und Freigetränke für eine Stunde erhält.

Ich habe letztlich auf jedem Platz der Stadt eine Runde gespielt, um herauszufinden, was es mit dem Hype auf sich hat. Gewiss fehlt es in London nicht an Möglichkeiten, in geselliger Runde seinen Spieltrieb auszuleben. Es gibt etwa schicke Kneipen zum Dartspielen, bunte Bällebäder für Erwachsene und Tischtennisanlagen mit Stroboskoplicht. Aber glauben Sie mir, wenn ich sage, dass diese Erlebnisse genauso kitschig und schrecklich sind, wie sie sich anhören. Wer diesen Sommer in London weilt und seine Zeit nicht nur in den gewöhnlichen Pubs, Museen und Musicals verbringen möchte, findet in den Minigolfanlagen die heissesten Orte zum Feiern – vorausgesetzt es sind angesichts des derzeitigen Hypes überhaupt noch Plätze zum Spielen frei.

Tracy Kawalik

Die gebürtige Kanadierin und einstige Salsa-Weltmeisterin kam wegen der Liebe nach London. Diese Liebe ist längst vorbei, und statt als Tanztrainerin und Stylistin arbeitet Tracy (40) seit über 10 Jahren als Journalistin für die angesagtesten Trendmagazine in UK – und in diesem speziellen Fall auch für «GOLF.ch».

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